Tarantulafalke, Schmerzstärke 4,0. Was tun, wenn man von ihm gestochen wird?
Schmidts Rat: "Lege dich hin und schreie"
Justin Schmidt ließ sich von
Dutzenden Insekten stechen. Doch wo wir "Autsch!" rufen,
wird Schmidt zum Dichter: Die Pein inspiriert den Insektenforscher zu
Poesie. Im Schmerz spürt er zudem den Wandlungen der Evolution nach.
Wir haben uns gerade erst
kennengelernt, da beklagt sich Justin Schmidt bereits über den
Mangel an insektenbasierten Initiationsriten in unserer Gesellschaft.
Er erzählt vom Volk der Sateré-Mawé im Nordwesten Brasiliens, das
eine Zeremonie abhält, bei der junge Männer ihre Hände in große
Handschuhe voller Tropischer Riesenameisen stecken.
Deren Stiche sind so qualvoll, dass
sie zu kurzzeitigen Lähmungen führen können. Schmidt glaubt, dass
wir davon etwas lernen könnten. Der Insektenforscher ist Fachmann
für Hautflügler - Wespen, Bienen, Ameisen.
Aber er hat auch zwei Söhne im
Teenageralter, und zumindest an diesem Morgen denkt er laut darüber
nach, ob ein Schmerzritual ihnen nicht helfen würde, erwachsen zu
werden. "Ich meine, es würde sie nicht umbringen", sagt
Schmidt. "Das könnte das Entscheidende an der Sache sein: Es
kann dich nicht töten, und trotzdem passiert etwas sehr Wirkliches
mit dir."
Der 69-jährige Justin Schmidt hat
den Kopf voller roter Haare, die nicht grau werden wollen, und ein
jungenhaftes Gesicht, in dem Übermut flackert. Er weiß, wovon er
spricht: In seinem jüngsten Buch "Der Stachel der Wildnis: Die
Geschichte des Mannes, der sich im Dienst der Wissenschaft stechen
ließ" ("The Sting of the Wild: The Story of the Man Who
Got Stung for Science") verwebt er seine Theorien über
stechende Insekten mit persönlichen Erfahrungen.
Für viele Leser wird der Höhepunkt
des Buches der Anhang sein: Schmidts berühmte Schmerzskala für
stechende Insekten. Sie basiert größtenteils auf seinem eigenen
Erleben. Weil er bei seiner Forschung zufällig gestochen wurde –
und in einigen Fällen, weil er es darauf angelegt hat.
Die Skala reicht von 0 (schmerzlos)
bis 4 (extrem schmerzhaft) und besticht vor allem durch die poetische
Wucht der Beschreibungen:
-
Maricopa-Knotenameise,
Schmerzgrad 3: "Nachdem
du acht Stunden lang unerbittlich in deinen eingewachsenen
Zehennagel gebohrt hast, verkantet sich der Bohrer im Zeh."
-
Termitenjäger-Ameise,
Schmerzgrad 2:
"Der lähmende Schmerz einer Migräne, konzentriert in deiner
Fingerspitze."
-
Keulenwespe,
Schmerzgrad 0,5: "Enttäuschend.
Eine Büroklammer fällt auf deinen nackten Fuß."
Polistes erythrocephalus,
eine 3 auf der Skala, beschreibt Schmidt so: „Näher wirst du aus
dem Inneren eines Feuers heraus nie dem Anblick des Blauen in der
Flamme kommen.“ Die überraschende Poesie führt einen
wortgewaltigen Beweis: dass wir einen Zugang finden können zu den
uralten Geheimnissen der Insekten.
Mit seiner Schmerzskala bringt
Schmidt die Welt der Menschen und die Welt der Insekten näher
zusammen. Oder vielmehr: Er zeigt, dass sie bereits ständig
miteinander kommu-nizieren. In der Sprache des Schmerzes.
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